Der erste echte Kampf

 

Es ist ein besonderer Tag. Ich spüre es, ohne zu wissen, was es ist.
Mein Fahrer sieht nach mir. Gründlicher als sonst. Es ist als wolle er sich vergewissern, ob ich in Ordnung bin.
Er denkt an Einsamkeit, Natur und Ruhe. Er denkt auch an Ungewißheit und da ist auch wieder diese Erinnerung an vergangene Zeiten, die ich nicht deuten kann.

Ich verstehe nicht, wieso etwas Vergangenes Gefühle auslösen kann. Ich kann mich an Geschehnisse aus der Vergangenheit erinnern, ich kann mich an die Gefühle erinnern, die ich dabei hatte. Ich empfinde jedoch keine neuen Gefühle, wenn ich mich an Dinge, Orte oder Begebenheiten erinnere.

Wir rollen gemächlich durch die Nacht. Von der Umgebung ist nicht viel zu sehen. Sie kommt mir bekannt vor, nur fuhren wir die Strecke sonst in der anderen Richtung. Es geht immer höher hinauf. Es wird kälter und mit einem Mal liegt links und rechts neben der Straße Schnee.
Ein Ende der Steigung ist noch nicht in Sicht.
Doch da, geschafft. Wir sind oben. Das letzte Mal, als ich hier war, kamen wir aus dem Wald.
Mein Fahrer lenkt mich nach links in eine schmale Straße. Es geht weiter hinauf. Der Asphalt hört auf. Ich habe wieder Waldboden unter meinen Rädern.
Die Steigung nimmt kein Ende. Es wird sehr steil, ich kämpfe, doch hier bin ich überfordert.
Mein Hinterrad rutscht etwas zur Seite, mein Vorderrad steigt und wir stehen quer.
Ich schäme mich vor meinem Fahrer, doch ich spüre die beruhigenden Gedanken, die er ausstrahlt. Er macht mir keine Vorwürfe. Er weiß, daß meine Fahrwerksgeometrie nicht für solche extremen Steigungen gedacht ist.
Beruhigt will ich es erneut versuchen.
Mein Fahrer richtet mich aus und tritt an. Das Vorderrad steigt wieder etwas, aber mein Fahrer verlagert sein Gewicht weiter nach vorne. Ich kann die Spur halten.
Eine Kehre – vorbei, das Hinterrad rutscht wieder etwas zur Seite. Wieder ein neuer Anlauf.
Diesmal geht es besser. Wir spielen uns langsam aufeinander ein. Mein Vorderrad ist kaum auf dem Boden zu halten, doch wir schaffen es. Wir sind oben.

Ich sehe eine große Ruine. Wir stehen im ehemaligen Hof einer Burg. Überall liegt Schnee.
Es ist schön hier. Bei Tag und klarem Himmel muß die Aussicht grandios sein.

Mein Fahrer ist seltsam still. Ich empfange kaum Gedanken.
Hölle, ist der fertig. Ich dachte schon für mich ist es hart, aber er ist ja fast am Ende.
Seltsam, die paar Gedanken, die er aussendet, beinhalten eine tiefe Zufriedenheit und Erleichterung, wie man sie nach einer bestandenen Prüfung spürt.
Wir stehen eine Weile einfach im Schnee und starren uns an. Trotzdem habe ich den Eindruck, daß mein Fahrer mich nicht wahrnimmt. Ich versuche in seinen Gedanken zu lesen, doch hier versage ich noch. Oder läßt er mich nicht in seine Gedanken eindringen, weil er weiß, daß ich versuche sie zu lesen?
Ich bin noch etwas verwirrt, als mein Fahrer mich wendet und zum ehemaligen Burgtor schiebt.
Es muß eine herrlich Burg gewesen sein.
Er geht zu Fuß und schiebt mich den steilen Weg hinab. Ich bin ihm dankbar dafür. Ich weiß nicht, ob ich ihn fahrend bewältigen könnte. Es ist zu dunkel und zu glatt.

Als der Weg flacher wird, schwingt sich mein Fahrer in den Sattel und wir rollen zügig dahin.
Wieder auf der Straße darf ich das Tempo bestimmen. Es sind zwei traumhafte Abfahrten, die nur unterbrochen sind von einem kleinen Anstieg.
Wir legen auf der restlichen Strecke ein gutes Tempo vor. Ich weiß nicht, wo er die Reserven hernimmt, ich weiß nur, er ist fertig.
An der Höhle angekommen, schiebt er mich auch nur schnell hinein und schon sitzt er auf dem Sofa.
Ich beobachte ihn noch etwas und vermute zu wissen, woher seine Reserven kamen.
Er hat daran geglaubt, es zu schaffen. Er hat es einfach fest geglaubt.


Die Genesung Inhalt Eine seltsame Nacht